Dieser zweite Monat hier in Ecuador ist deutlich schneller vergangen als der Erste. Das mag zum einen daran liegen, dass ich dieses Mal nicht ständig krank war, zum anderen liegt es aber vor Allem daran, dass ich nun deutlich glücklicher und zufriedener hier bin. Nie hätte ich mir vorstellen können, dass manche Menschen hier schon nach nur zwei Monaten schon so gute Freunde und wichtige Personen in meinem Leben werden.
Natürlich macht es einem die im Vergleich zu Deutschland offenere Kultur etwas einfacher Leute kennenzulernen, aber man unterschätzt die Oberflächlichkeit, die damit einhergeht. Auf Geburtstagsfeiern werden zum Beispiel Unmengen an Leuten eingeladen und es mag auf den ersten Blick so wirken, als hätte diejenigen Unmengen an Freunden. Erst auf den zweiten Blick merkt man, dass mehr als die Hälfte der Gäste den Gastgeber nur flüchtig kennen und dass es nicht einmal mehr üblich ist ein Geschenk mitzubringen. Genauso ist auch die Begrüßung zunächst einmal sehr offen, da damit direkt die Frage nach dem Befinden einhergeht, es wird aber meist nicht einmal die Antwort abgewartet oder alle sagen einfach „Estoy bien“, also „Mir geht es gut“, obwohl es nicht so ist. Um Leute näher kennenzulernen, musste ich mich ganz schön ins Zeug legen. Das ist mir wirklich nicht leichtgefallen, aber ich hatte es mir vor dem Auslandsjahr vorgenommen wieder mutiger zu werden in dieser Hinsicht und über meinen Schatten zu springen. Diejenigen unter euch, die mich ein wenig besser kennen, wissen, dass ich damit aufgrund meiner vielen negativen Erfahrungen in meiner Schulzeit große Probleme habe. Umso glücklicher bin ich, dass es hier nun bereits einige Freunde gibt, die mich so mögen, wie ich bin und die mir helfen mein verlorenes Selbstbewusstsein wiederzuerlangen.
Mit meiner Familie läuft es schon deutlich eingespielter ab im Alltag. Seitdem ich das Thema mit dem Essen offen angesprochen habe, gibt es nun immer genügend Essen im Haus und sie hören mir wirklich zu, wenn ich sage, dass etwas leer ist und nachgekauft werden muss. Es ist mir wirklich schwer gefallen das vor meinen Gasteltern anzusprechen, aber der Mut hat sich zum Glück bezahlt gemacht. Im letzten Monat habe ich mich immer öfter dazu überwinden können den Mundeinfach mal auf zu machen. Deshalb habe ich nun auch endlich eine funktionierende SIM-Karte inklusive Internetflat und kann nun, wenn ich möchte, bis zu fünfmal die Woche zum Schwimmtraining gehen. Besonders das sorgt dafür, dass ich wieder deutlich ausgeglichener und weniger reizbar bin.
Natürlich läuft noch nicht alles optimal, aber der negative Anteil hat sich im Vergleich zu meinem Fazit nach dem ersten Monat deutlich verringert. Es ändert sich zum Beispiel nichts an der Unzuverlässigkeit und Unpünktlichkeit meiner Gasteltern und generell aller Personen hier. Letzten Donnerstag musste ich zum Beispiel 40 Minuten im Regen vor dem Schwimmbad warten. Mein Gastpapa kam sehr verspätet und hatte zudem kein Akku mehr auf seinem Handy und ich konnte ihn deswegen nicht erreichen. Meine Gastmama war zu dem Zeitpunkt in Guayaquil auf Geschäftsreise Die Einzige, die ich erreichen konnte, war meine Gastschwester, die mir aber auch nicht weiterhelfen konnte, da sie bei Freunden zu besuch war, um eine Gruppenarbeit für die Schule zu machen. Normalerweise darf ich allein ja keinen Fuß vor die Tür setzten, weil es hier sehr gefährlich allein und besonders als Frau auf der Straße ist. Dementsprechend mulmig war das Gefühl dort quasi allein rumzustehen. Als mein Gastpapa dann endlich gekommen ist, war ich wirklich sauer auf ihn und habe ihm freundlich, aber unmissverständlich erklärt, wie blöd die Situation war und dass es auch nicht ganz ungefährlich ist, wenn ich dort mutterseelenallein herumstehe. Er hat daraufhin einsichtig eingelenkt, dass hätte nicht passieren dürfen und er hat mir versprochen, dass so etwas nicht noch einmal vorkommen wird. Für den Notfall habe ich nun auch die Nummer meines Gastopas, der mich beim nächsten Mal im Notfall auch abholen kann. Zur Entschuldigung hat mein Gastpapa mir dann noch einen Crêpe gekauft, denn ich war ziemlich durchnässt nach der unfreiwilligen Dusche. Generell bin ich aber einfach nur froh gewesen, dass alles doch noch gut gegangen ist.
Es ist jedoch ein gutes Gefühl mittlerweile auch kritische Themen ohne große Angst ansprechen zu können. Ja, meine Familie ist ein einziger Haufen Chaos und mit meiner Gastschwester ist es manchmal echt nicht einfach, besonders wenn sie mal wieder so lange geduscht hat, dass die nächsten Stunden kein warmes Wasser verfügbar ist, oder wenn sie wieder die Waschmaschine ständig blockiert, um einzelne und zuvor vergessene Teile zu waschen, aber ich fühle mich hier mittlerweile zuhause. In den wichtigen Dingen unterstützt meine Gastschwester mich ohne Bedingungen. Zum Beispiel, wenn ich mich mit meinen Freunden treffen will, dann hilft sie mir mit unseren Eltern ein bisschen mehr Zeit für mich zu verhandeln. Oder sie hilft mir meine Haare zu bändigen, weil sie nicht will, dass ich schon wieder mit meinem klassischen Pferdeschwanz vor die Tür gehe. Das Verhältnis zu meinem Gastpapa ist sehr locker und er ist eigentlich immer gut gelaunt und ein kleiner Komiker. Es hat sich bereits eine gewisse Dynamik zwischen uns entwickelt und wir ärgern uns gegenseitig ohne nachtragend zu sein. Mit meiner Gastmama ist das Verhältnis etwas angespannter. Sie ist der deutlich strengere Elternteil und hat immer das letzte Wort, wenn es darum geht, was Fáti und ich dürfen und was nicht. Dabei ist sie mit mir deutlich strenger als mit Fáti, wenn ich etwas ohne meine Schwester unternehmen möchte und es ist mir echt unangenehm immer mit ihr zu diskutieren, dass ich mich eine halbe Stunde länger mit meinen Freunden treffen kann. Fáti hat mir zwar erklärt, dass man mit meiner Mama immer diskutieren muss und dass diese immer zuerst eine Verhandlungsbasis nennt und man diese normalerweise um eine halbe oder eine Stunde nach hinten verschieben kann, aber trotzdem ist es ein komisches Gefühl, weil ich das von Zuhause nicht kenne. Meine Eltern in Deutschland wissen, dass ich keinen Mist baue, wenn ich mich mit Freunden treffe und grenzen mich deswegen was das angeht kaum ein. Aber ich denke, wenn meine Mama merkt, dass ich normalerweise ein zuverlässiger Mensch bin und auch immer pünktlich nach Hause komme, auch wenn ich gerne länger bleiben würde, dass sie dann etwas lockerer mit den Regeln wird. Ich kann auch verstehen, wenn sie sehr besorgt um mich und meine Sicherheit ist und muss wohl oder übel die aufgestellten Regeln akzeptieren.
Mal abgesehen von dem einem Rotarytreffen und der Reise an den Strand hatte ich in diesem Monat so gut wie keinen Kontakt mehr zu Rotary. Mein Taschengeld hat mir die Tochter meines YEOs in der Schule gegeben. Da ich aktuell jedoch keine größeren Probleme habe, störe ich mich nicht großartig daran. Mir reicht es zu wissen, dass sowohl mein Counselour als auch mein YEO jederzeit für mich per Handy erreichbar sind, falls unerwarteterweise doch zu Problemen kommen sollte.
In der Schule läuft es eigentlich ganz gut. Im Unterricht komme ich sehr gut mit und die Noten sind dementsprechend eigentlich alle im grünen Bereich. Mit meinen Klassenkameraden verstehe ich mich zwar gut, aber jetzt mit der Zeit zeigt sich der doch etwas größere Altersunterschied leider immer deutlicher. Enge Freundschaften habe ich eher zu den gleichaltrigen Schülern in der Abschlussklasse, mit denen ich auch meine Pause verbringe. Meine Klassenkameraden sind nun einmal gute zwei Jahre jünger als ich und das macht in diesem Alter sehr viel aus. Die Interessen und Gesprächsthemen liegen halt einfach woanders als bei mir, während ich mich mit meinen Freunden aus der anderen Stufe ohne Probleme gut unterhalten kann. Der Unterricht generell ist größtenteils sehr langweilig, da ich die Inhalte bereits kenne. Besonders langweilig sind die Naturwissenschaften, da ich die dort besprochenen Themen schon vor Jahren gelernt habe. Es hat nun mal auch Nachteile, wenn man bereits Abi hat und schon viel in der Schule gelernt hat. Ich spiele noch mit dem Gedanken eventuell bei der Schule nachzufragen, ob ich die Klasse wechseln kann, aber ich hadere noch mit mir, denn ich möchte weder Streit mit meiner Gastschwester noch mit Alessandra provozieren, denn ich verstehe mich mit den Beiden eigentlich sehr gut. Besonders Alessandra würde ich dann ja quasi in den Rücken fallen indem ich sie allein in der Klasse lasse. Das möchte ich ungern. Ich denke darüber werde ich mir noch einmal gründlich Gedanken machen und das Ganze erst Mal mit meinen Eltern hier besprechen, ob sie mich darin unterstützen würden. Meine Freunde haben von sich aus schon gefragt, ob ich nicht vielleicht die Klasse wechseln kann, ohne dass ich das Thema angesprochen haben und sie würden mich auf jeden Fall unterstützen. Ich bin zwar aktuell nicht unglücklich in der Schule, aber ich bin im Unterricht einfach ein wenig unterfordert und gelangweilt. Ich werde einfach mal schauen, was sich machen lässt.
Insgesamt kann ich aber über den vergangenen Monat beinahe ausschließlich positiv berichten. An die meisten merkwürdigen Angewohnheiten habe ich mich mehr oder weniger gewöhnt. An viele Dinge gehe ich nun einfach mit einer anderen Erwartungshaltung heran. Ich erwarte zum Beispiel gar nicht mehr, dass andere Leute pünktlich zu Verabredungen kommen und das erspart mir viel Stress. Während ich nach dem ersten Monat noch beinahe gedacht habe, am frühstmöglichsten Zeit zurückzufliegen, fühle ich mich jetzt so wohl, dass ich so lange wie möglich hierbleiben möchte. Ich kann jetzt mit deutlich mehr Vorfreude auf die kommenden Monate blicken, denn ich fange an die Zeit hier zu genießen.
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HcPcEgmp (Freitag, 17 Dezember 2021 00:07)
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